Vor ziemlich genau einem Jahr um diese Zeit war ich ein völlig anderer Mensch.
Ich war die unglücklichste Lehrerin der Welt!
Alle meine Visionen vom anderen Weg in Schule, alle guten Vorsätze, im Schulsystem einen echten Unterschied zu machen, für Kinder und Jugendliche da sein zu können, den Traumberuf Lehrerin wirklich zu leben – alles war auf Grund gelaufen, wie die berühmte Titanic auf den Eisberg.
In diesem Fall war mein persönlicher Eisberg das starre Schulsystem, das mir einfach keine Wahl mehr ließ.
Ich spürte instinktiv: es gab kein Zurück mehr und nie wieder ein „Weiter so“.
Corona hatte mir wie unter einem Brennglas gezeigt, wie müde ich war von all dem.
Wie wenig ich mein Tun noch als sinnstiftend und sinnvoll für mich empfinden konnte.
Ich hatte einen Job – aber mit meiner Vision von mir selbst hatte dieses funktionierende Etwas, das mir da morgens im Spiegel tapfer entgegenlächelte, rein gar nichts mehr gemeinsam.
Ich war aus voller Seele Lehrerin geworden.
Mit Bestnoten an einer der verruchtesten Schulen des Hamburger Schulsüdens geblieben – einfach, weil ich der Überzeugung war, dass genau diese Schüler*innen die besten Lehrer*innen brauchen.
So eine Lehrerin wollte ich sein: Eine, die hinsieht und die da ist.
Die Beziehungsarbeit leistet, die sich involviert, engagiert und egal, wie anders oder stigmatisiert du bist in diesem Schulsystem, die dich sieht und nicht verändern will.
Und genau so lebte ich meinen Beruf auch. Ich war da, mit allem, was ich zu geben hatte. Ich arbeitete bis nachts an guten Konzepten für Unterricht, ich liebte es zu unterrichten, mit Schüler*innen zu sein.
Während ich das schreibe, merke ich, wie sehr mir dieser Kontakt immer fehlen wird.
Wie sehr sie mir fehlen, meine Schüler*innen.
Die nie mein Problem waren, mit denen ich großartige Arbeitsbündnisse einging. Die mit mir jede Eins in den Lehrproben nach Hause fuhren.
Vermeintliche „Horrorklassen“ wurden echte Gemeinschaften – nicht DURCH mich, sondern MIT mir.
Ich hab all das aufgesogen und geliebt.
Aber ich hab das System nie geliebt.
Ich habe die falschen Fragen gestellt. Nee, anders: Ich habe überhaupt welche gestellt.
Ich habe selten irgendwas akzeptiert.
„Weil das so ist“, das gab es in meiner Kindheit nicht mal mehr. Ich kann „lieb und artig“, aber ich will es nicht mehr.
Dafür wurde ich von vielen Kolleg*innen gemocht und hinter vorgehaltenen Händen bestärkt.
Wenn es aber darum ging, offensichtliche Missstände offen und ehrlich anzusprechen, Gesicht zu zeigen und auch für die Rechte gerade der vermeintlich „problematischen Schüler*innen“ einzustehen, dann wurde es still im ansonsten so redseligen Plenum der Gesamtkonferenzen.
Ich habe das Schweigen der anderen Lehrer*innen nicht mehr ertragen.
Das gesichtslose Abnicken aller vermeintlichen Erfordernisse.
Das „Wir können ja eh nichts ändern“- ertrug ich nicht und auch die Durchhalteparolen der Schulleitung nicht mehr.
Wenn du montags das Gefühl hast, die 50%-Stelle nicht zu schaffen, dann läuft was grundlegend verkehrt im deutschen Schulsystem.
Und dann darfst du das sagen und solltest es auch!
Meine Schultage waren geprägt vom Unterrichten von bis zu zehn unterschiedlichen Lerngruppen binnen einer Woche, in bis zu drei studierten und teilweise vier zusätzlich fachfremd unterrichteten Fächern.
Pausen im Laufschritt, Kopieren, Streit schlichten, Pausenaufsicht, endlose und unfassbar langweilige, sinnentleerte Konferenzen, analoges Abheften und Verwalten bis der Arzt kommt, Prüfungen, Klausuren, Teamsitzungen, Schulentwicklungsgruppensitzungen, Klassenkonferenzen, Elterngespräche und -mails, gefühlt tausende Tür- und Angelgespräche mit Kolleg*innen und Eltern.
Ab und an wurden diese Tage von komatösem Schlaf unterbrochen. Zumindest schien mir das so zu sein.
Das klingt völlig irre? Ist es auch!
Niemand, der wirklich gut in diesem Job ist, kommt da mit heiler Haut raus.
Wer es trotzdem tut, der ist entweder schon innerlich tot, oder versucht sich mit Selbstlügen über Wasser zu halten.
Meine subjektive Meinung.
Nee, sagen dann andere, da hätte ich ja achtsamer sein müssen und war einfach zu dünnhäutig. Ja, dachte ich direkt auch. Liegt ja nahe.
Da bin ich dann zur Psychologin gegangen, weil das alle guten Lehrer*innen tun: immer erstmal den Fehler bei sich selber suchen! Gelernt ist gelernt.
Und genau das hab ich dann mal bei der Psycholgin so gesagt: „Mit mir ist was falsch. Ich schaffe den Halbtags-Job nicht, fühle mich in Permanenz schlecht.“
Ich hab ihr auch direkt vorgeschlagen, in meiner Vergangenheit zu wühlen, da müsse doch was sein, dass ich die Lebenszeitverbeamtung so gar nicht als den Zustand höchster Glückseligkeit empfinden wollte.
Die hat mir auch interessiert zugehört und dann den Kopf geschüttelt. Anschließend hat sie mit mir eigentlich ein Coaching gemacht, denn ein psychisches Problem ließ sich nicht finden.
Meine Werte, die ich in mir trage, hat sie mit mir ergründet, mein großes Streben nach Unabhängigkeit gesehen und ich werde niemals das Schaubild vergessen, bei dem überhaupt nichts übrig blieb von meinen Werten und meiner Persönlichkeit im System Schule.
– außer diesem beschissenen Gedanken, sicher zu sein, weil ich unkündbar und privat versichert war! Sicher und totunglücklich.
Ich fühlte mich wie dieser Vogel, der in seinem offenen Käfig sitzt und der sich vor der Freiheit fürchtet.
Heute zum Lachen!
Und dann hab ich mich mit Macht befreit und bin gesprungen.
Ohne Netz, ohne doppelten Boden oder irgendwas mit „sicher“. Für mich war klar, dass, wenn ich jetzt nicht gehe, mich dieses Schulsystem einfach so verschlucken wird.
Und dann hab ich immer wieder daran gedacht, dass wenn ich mal alt bin, ich einfach wissen will: ich hab mich selber nicht verraten.
Egal, wie erfolgreich oder unerfolgreich mein Ausstieg nun verlaufen würde.
Heute arbeite ich teilweise 60 Stunden in einer Woche und war nie wieder so müde wie damals in der Schule.
Ich lebe den Traum, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, allein und in Ruhe da zu sein, ihnen zuzuhören und erst für sie und dann mit ihnen genau zu wissen:
sie sind großartige Menschen, egal, welches Etikett ihnen die Gesellschaft aufkleben will.
Wenn ich heute neue Anderslerner*innen und ihre Eltern kennenlerne, dann sehe ich immer auch mich, die mit ihm oder ihr genau jetzt einen neuen Abschnitt beginnt.
Denn jeder dieser Wege ist neu und jeder Tag bei anders lernen ist ein Neubeginn.
Ich weiß so genau, wie es sich anfühlt, anders zu sein und andere Wege für sich selbst zu gehen.
Es fühlt sich so richtig an, wie einfach loslaufen an einem frisch gewaschenen Morgen am Meer. Wenn du bei dir bist und weißt, dass du gut und richtig bist – und du dich frei machst von allen Erwartungen der anderen.
Dann wird dir plötzlich klar, wo dein Weg entlangführt, auch wenn das Ziel noch gar nicht so feststeht.
Der wird doch steinig und steil dieser Weg? – Vielleicht!
Der wird anstrengend? – Bestimmt!
Der macht doch Angst? – Auch!
Aber der führt zu mir selbst!
Und am Ende ist er mein gelebtes, größtes Glück.
Und ich wünsche all meinen Klient*innen und ihren Eltern, dass sie diese Wege für sich und ihre Kinder finden und gemeinsam losgehen.
Dass ihre Angst sie nicht zurückhält und auch nicht die Erwartungen und Verurteilungen der anderen.
Dass sie und ihre Kinder, wenn sie hier rausgehen, wissen, dass alles gut werden wird. Und dass das Leben immer Optionen kennt, die du dir selbst wählen kannst.
Traurig und wundervoll zu gleich. Es bestärkt mich sehr , dass wir alle zusammen die wirkenden Systeme verändern sollten.
Ein toller Beitrag… Genauso sehe ich auch unser Schulsystem… Und da mache ich nicht mit… ich vertraue meinem Kind, lass ihr jede Zeit, die sie braucht, weil ich weiß, dass sie alles in sich hat. Vielen Dank für deinen Beitrag und ich wünsche Dir viel Erfolg… Solche Menschen braucht das Land.