„Wer heute noch Lehrerin oder Lehrer wird, der muss bescheuert sein!“
Es ist dieser Satz eines alten Kollegen auf seiner Pensionierungsfeier nach über 40 Jahren Schuldienst, der mich nach sechs Stunden Unterricht und Konferenz am Nachmittag wieder wach macht. Und er wird mir lange im Gedächtnis bleiben.
Ist das, was dieser alte Kollege da sagt, das Jammern auf hohem Niveau? Ist das nicht Blödsinn und was meint er damit?
Befragt man Lehramtsanwärter, dann haben sie durch die Bank viel Mut zur Veränderung, schreiben großartige Entwürfe, wie Unterricht schülerzentriert und handlungsorientiert gelingen kann.
Sie gehen mit einem großen Rucksack aus dem Referendariat, vollgepackt mit Wissen, wie Lernen für jeden einzelnen – individualisiert – gelingen kann.
Und sie haben Visionen davon, wie sie ein guter Lehrer oder eine gute Lehrerin sein werden.
Und jeder einzelne von ihnen will genau das sein: ein guter Lehrer!
Ich war eine von ihnen und ich bin am Schulsystem verzweifelt– niemals an den Schülerinnen und Schülern.
Was passiert mit diesem Enthusiasmus nach dem Referendariat?
Es kommt die erste Planstelle. Teilweise 30 Unterrichtsstunden die Woche, je nach Bundesland und Arbeitszeitmodell.
Dazu kommen Klassenlehrertätigkeiten, endlos scheinende Lehrerkonferenzen nach dem Unterricht, Teamsitzungen, Fachkonferenzen, Korrekturen, verpflichtende Fortbildungen, Gremienarbeit, Schulentwicklungsarbeit, Arbeit an Schulprogrammen und Curricula, nicht enden wollender Emailverkehr mit Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzten, jede Menge Elterngespräche, Zeugniskonferenzen und Zeugnisschreiberei, analoges Akten-Verwalten bis zum Umfallen, Disziplinarkonferenzen, Abitur- und Oberstufenarbeiten, Prüfungen.
Diese Liste ließe sich tatsächlich endlos erweitern – je nach Schulform und Bundesland!
Die eigentliche Arbeit, kleine und größere Menschen dabei zu unterstützen, ihre Potenziale zu erkennen und zu entwickeln,
Unterricht gut und methodisch versiert vorzubereiten - wo bleibt dafür die Zeit?
Das, was wir als Gesellschaft dort von den Lehrerinnen und Lehrern erwarten, ist traurig und grotesk zugleich!
Die meisten Lehrer:innen schweigen.
Auch weil das Lehrerbashing niemals lauter war.
„Faule Säcke“ seien die Lehrerinnen und Lehrer, das hat schon Schröder gewusst.
Jedes Klischee fällt dir ein und das willst du unbedingt nicht bestätigt wissen.
Obendrein führt der Beamtenstatus zu einer immerwährenden Verfügbarkeit deines Dienstherren über dich.
Zumindest fühlt es sich genau so an. Mehrarbeit ist abgegolten, wird fast immer vorausgesetzt und fast nie nach Beamtenmanier aufgezeichnet.
Am Ende ist es selbstverständlich, über Gebühr für das Schulsystem verfügbar zu sein.
Undenkbar, aus meiner heutigen Sicht als Unternehmerin, das von meinen Mitarbeiter:innen jemals zu verlangen!
Ich glaube, das Schulsystem zieht nahezu vollständig Menschen an, denen die Sicherheit der Lebenszeitverbeamtung zum Verhängnis wird. Zum einen verspricht dieses Berufsmodell die absolute Sicherheit.
Unkündbar – ein Leben lang Lehrer:in. Perfekt für angstbesetzte Menschen.
Ich habe mehr als ein Mal erlebt, dass erwachsene, hoch studierte Menschen, ihre wahren Ansichten und Meinungen herunterschluckten.
Ich wurde regelrecht reflexhaft ermahnt, ich hätte diese oder jene Kritik nicht äußern dürfen.
Dazu kommt eine unfassbare Angst davor, bei irgendeiner Form der „Nicht-Erfüllung“ erwischt zu werden.
Denn bei all dem Arbeitsaufkommen liegt es in der Natur der Sache, dass du Dinge nicht schaffst oder einfach im Laufschrittmarathon zwischen Kopierer, Streitschlichtung auf dem Flur und der spontan angesetzten Vertretungsstunde verschieben musst, oder im schlimmsten Fall – vergisst.
Auch hier wird der Eid, den du geschworen hast bei deiner Verbeamung zum Verhängnis. Denn den darfst du nicht brechen und auch nicht einfach so hinterfragen.
Aber es geht um den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen –
und da darfst du faktisch nicht vergessen, dass der Paul in der 5a nicht lesen kann und dieser Nachteilsausgleich immer noch nicht geschrieben und besprochen ist.
Das geht einfach nicht!
Am Ende fühlt es sich wie ein immerwährendes Hamsterrad für viele Lehrer:innen an.
Vor allem für die Engagierten und für die, denen die Menschen für die sie einmal Lehrer:in wurden, einfach nicht egal werden wollen.
Der Weg raus aus dem Schulsystem erscheint vielen heute als einzige Option. Und es sind keine Drückeberger, die das sinkende Schiff Schule verlassen. Im Gegenteil!
Dickfelligkeit scheint zum Garanten für ein langes Durchhalten im Schulsystem zu werden.
Diese systemseitig produzierte Dickfelligkeit aus Resignation ist dann etwas, worunter Schülerinnen und Schüler und auch ihre Eltern im Höchstmaß leiden müssen.
Nur der Grund ist eben nicht die berechnende Faulheit eines ganzen Berufsstandes, sondern
das Ergebnis der immer multipler werdenden Aufgaben des Lehrberufs und die permanente Überforderung.
In meinem Lehrerinnenleben waren 60-Stunden-Wochen bei einer halben Stelle am Ende keine Seltenheit. Nie wieder war ich so erschöpft, obwohl ich heute deutlich mehr Stunden für mein Unternehmen arbeite.
Ich habe für mich beschlossen, dass ich mir ein Leben unter diesen Arbeitsbedingungen nicht mehr vorstellen kann.
Und ich teile jede Verzweiflung, die Eltern ergreift, deren Kinder in irgendeiner Form den „Normalbetrieb Schule“ (der ja im Grunde schon ein Notbetrieb aller ist) stören.
Die Kinder haben, die mehr bräuchten.
Die nämlich genau die Menschen bräuchten, die so viele Lehrerinnen und Lehrer zu Beginn ihrer Dienstzeit einmal waren und die im System Schule verschwinden.
Deren Enthusiasmus verbrannt wird und verpufft, sobald die Mühlen des Schulsystems erstmal angestoßen sind.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass es immer Schulleitungen und Schulgemeinschaften gibt, die der Verwaltung des Mangels anders Herr werden.
Die die richtigen Weichen stellen zugunsten der Schülerinnen und Schüler.
Dennoch bleibt auch dort dann Veränderung dem Engagement einzelner unterworfen.
Das ist ein Zustand, den doch die Gesellschaft nicht im Ernst hinnehmen kann.
Es ist Zeit, dass Lehrerinnen und Lehrer öffentlich machen, wie ihr Schulleben wirklich ist!
Es ist Zeit, großangelegte und damit landesweite Gefährdungsbeurteilungen zu erheben.
Die unglaubliche Anzahl von psychiatrischen Kliniken, die sich nur um den Burnout von speziell Lehrer:innen kümmern, sind nicht das Ergebnis der Drückebergermentalität aller Lehrerinnen und Lehrer, sondern einer Bildungspolitik, die die Überlastung von Lehrerinnen und Lehrern systematisch negiert.
Und schlimmer noch, die Bildungspolitik spielt die Belastung der Lehrer gegen die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler aus.
Der Schulterschluss zwischen Eltern und Lehrer:innen bleibt da natürlich aus.
Am Ende brauchen Lehrer:innen Arbeitsbedingungen, die es ihnen ermöglichen, unsere Kinder zu begleiten und zu befördern zu allem, wer sie sind.
Und Schülerinnen und Schüler brauchen Lehrer, die Zeit haben für sie. Deren Visionen Wirklichkeit werden können – die vom guten Lehrer-Sein und damit guter Schule!
Danke für diesen fundierten Artikel – und es gibt Hoffnung, wie so oft aus dem doing, hierbei schon unterstützt vom Land Sachsen: das Modellprojekt Universitätsschule in Dresden mit wunderbaren Lernbegleitern, statt Lehrern, die die Änderung der Berufsbezreichnung leben, ein Ort an dem medial, projektorientiert und Kinderfreundlich mit viel Einbezug der Eltern gelernt wird. Meine Tochter hat das Glück an der Unischule lernen zu dürfen. Die Grundmotivation der Initiatoren ist, das jedes Kind lernen will, und ich bin überzeugt davon, dass die Grundmotivation jedes Lehrers/Lernbegleiters ist, die Kinder dabei bestmöglich zu begleiten.
Das Modell ist einfach umzusetzen – machen wir es bekannt.
Liebe Corinna,
Danke für deinen Artikel
bitte melde dich mal bei mir, info@lernkulturzeit.de, ich habe da so eine Idee, rund um das Thema des nächsten Pioneers of Education Bildungsgipfels
Herzliche Grüße
Silke Weiß (aus dem goldenen Käfig entflogen 🙂 )